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20.07.2022 Dorfgeschichte(n), die begeistern, verzaubern und überwältigen

Hier und da hat man es in Niederbrechen und Oberbrechen schon im Dorf munkeln hören, doch welche Dimension das mit Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ (VIDETO) geförderte Theaterprojekt zur 1250-Jahrfeier angenommen hat und welch einmaliges Ereignis daraus geworden ist, konnte man erst so richtig als Zuschauer*in am vergangenen Wochenende überblicken. Schon die langen Schlangen vor dem Einlass ließen vermuten: Hier gibt es etwas Besonderes, etwas, das man gesehen haben muss. Der Blick in die Emstalhalle und den neu geschaffenen Bühnenraum mit all der Technik lässt als Betrachter*in nur erahnen, wie viele Stunden Arbeit hinter dieser Verwandlung von der Sporthalle in die Emstalhalle stecken mag.

Und dann beginnt die große Historienschau. Leben und Tod eröffnen mit einem eigens getexteten Moritatengesang das Stück und treten wie ein roter Faden immer wieder in den dargestellten historischen Fragmenten auf. Das Stück beginnt mit dem Gründungsmythos und der Schenkung Brachinas, dem heutigen Niederbrechen und Oberbrechen durch die Adelige Rachilt. Immer wieder werden Brücken zu den Lebensrealitäten unserer Vorfahren aus unterschiedlichen Epochen geschaffen und auf moderne Weise interpretiert: Von der Frankenzeit über das Mittelalter, die kurfürstliche und nassauische Zeit bis hin zu den großen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Zu den weiteren Themenschwerpunkten gehören u. a. die Stadtrechteverleihung, Sagen und Geschichten aus den beiden Ortsteilen, Hexenverbrennung und Pest, verheerende Brände, der Dreißigjährige Krieg, die kurfürstliche und nassauische Zeit, 1. und 2. Weltkrieg, Heimatvertriebene sowie jüdisches Leben in Niederbrechen und Oberbrechen. In einem fesselnden Spannungsbogen geht es bis in die 1970er-Jahre, in denen die beiden Brecher Ortsteile Niederbrechen und Oberbrechen im Rahmen der Gebietsreform zusammengeführt werden. Dabei schafft es die Gesamtleiterin und Regisseurin, Cara Basquitt, bedeutende geschichtliche Ereignisse auf Grundlage historischer Fakten und Dokumente der letzten Jahrhunderte kurzweilig und pointiert mittels fiktiver Geschichten zu erzählen. Im Rahmen von Text- und Theaterworkshops entstanden selbst entwickelte Szenen, die von Cara Basquitt – unterstützt durch die Regie- und Dramaturgie-Assistentin Evi Rohde und das Schauspieler*innen-Ensemble – im Skript zu einem runden Gesamtbild gegossen wurden.


Schauspielensemble (Leitung: Cara Basquitt), Bühnenmusiker*innen und Theatercombo (Leitung: Kuno Wagner), Theaterchor (Leitung: Jutta Sode), Theaterorchester (Leitung: Michael Steiner) und Theatertanzgruppe (Leitung: Dorin Frank, Madeleine Gerlach und Oli Fachinger) sowie Filmprojektionen (Verantwortlich: Maris Eufinger) ergeben ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk, das in der hiesigen Region seines Gleichen suchen kann. Allen Gruppierungen sieht man den Spaß und die Freude auf der Bühne an. Es entstehen Bilder und Eindrücke, die noch lange nach Aufführungsende nachwirken. Bilder, die auch Dank des großartigen Bühnen- und Kostümbilds von Cosima Winter ein stimmiges Gesamtwerk ergeben. Nicht minder steht die beachtliche Leistung des Technik- und Bühnentechnikteams unter Leitung von Markus Hoffmann, Dominik Gilberg und Andreas Bernhard Kremer und all den anderen Helfer*innen, die im Hintergrund gewirkt haben.

„Dorfgeschichte(n) – Fragmente aus 1250 Jahren Niederbrechen und Oberbrechen“ ist ein Theaterstück, das selbst Geschichte(n) schreibt. Das sich in seiner Professionalität und Qualität nicht vor den großen Schauspielhäusern verstecken muss und es fürwahr schafft, eine Brücke zu schlagen. Nicht nur über die Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch zwischen zwei Ortsteilen und den unterschiedlichen Ortsvereinen. Ein Stück, das Verbindungen schafft, das Dorfleben zwischenmenschlich bereichert und immer wieder aktuelle Bezüge zu den historischen Ereignissen einflechtet.

Textquelle: Silke Steul
Bildquelle: Bärbel, Dieter und Nino Zettner


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