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26.08.2021 American Nightmare - Literatur im Gespräch

Der Literaturgesprächskreis trifft sich am Donnerstag, den 07. Oktober ab 20.00 Uhr in den Räumen der Bücherei Niederbrechen zum Austausch über Phillip Roths Gesellschaftsroman „Der menschliche Makel“.

Im Jahr 1998 ist Nathan Zuckerman 65 Jahre alt. Fünf Jahre zuvor zog sich der Schriftsteller von Manhattan in die Berkshire Mountains im Westen von Massachusetts zurück, wo er, nach ei-ner Prostataoperation inkontinent und impotent geworden, weitgehend isoliert lebt. Vor zwei Jahren machte er die Bekanntschaft des inzwischen 71-jährigen Coleman Silk, eines Professors für klassische Literatur am nahegelegenen Athena College. Als der allgemein geschätzte jüdische Altphilologe und frühere Dekan seine aka-demische Laufbahn mit Lehrveranstaltungen ausklingen lassen wollte, unterlief ihm eine folgenschwere Äußerung, in der er zwei regelmäßig nicht anwesende Teilnehmerinnen am Seminar ironisch als „dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen“ bezeichnete. Die Silk unbekannten Studentinnen waren Schwarze, und seine Wortwahl wurde ihm als Rassismus ausgelegt. Die folgenden Anhörungen und inneruniversitären Machtkämpfe führten zur entnervten Aufgabe seiner Pro-fessur und, wie er glaubt in einem kausalen Zusammenhang stehend, zum Tod seiner Frau Iris durch einen Schlaganfall. Am Tag darauf bat der wutentbrannte Silk Zuckerman um die Niederschrift der Ereignisse. Obwohl der Schriftsteller den Auf-trag nicht annahm, freundeten sich die beiden Männer an.

Zwei Jahre später, im Jahr, als die Lewinsky-Affäre ganz Amerika in ihren Bann schlägt, hat Silk das Manuskript selbst vollendet, doch ist er an einer Veröffentli-chung nicht mehr interessiert. Inzwischen hat ihn eine ganz andere Leidenschaft ergriffen: die Affäre mit der 34-jährigen Faunia Farley, einer Putzfrau an seinem College. Die junge Frau floh mit 14 Jahren vor dem sexuellen Missbrauch durch ih-ren Stiefvater, mit 23 heiratete sie den Vietnamkriegsveteranen Lester Farley, der unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leidet, seine Ehefrau schlug und sie auch nach der Scheidung weiter verfolgt. Farley macht seine ge-schiedene Frau für den Tod ihrer beiden Kinder verantwortlich, die starben, nach-dem eine Heizsonne das Haus in Brand gesteckt hatte.

Die Affäre des emeritierten Professors mit seiner nicht einmal halb so alten Gelieb-ten bleibt nicht geheim. Erst protestiert die Literaturprofessorin Delphine Roux, Silks junge Gegenspielerin am College, in einem anonymen Brief gegen die Beziehung, in der der alte Mann statt Studentinnen nun eine ihm ausgeliefer-te Analphabetin unterdrücke. Dann kommt es zu einer gewalttätigen Auseinander-setzung mit dem Psychopathen Farley, die Silk um sein Leben fürchten und seinen Anwalt Nelson Primus den Abbruch der Beziehung anraten lässt. Schließlich wen-den sich auch Silks vier Kinder von ihrem Vater ab, als Gerüchte aufkommen, Faunia habe nach einem von Silk erzwunge-nen Schwangerschaftsabbruch einen Suizidversuch unternommen.

Am Vorabend von Silks 72. Geburtstag kommt es zum definitiven Zusammenstoß mit Lester Farley, der nach dem Besuch einer Nachbildung des Vietnam Veterans Memorial vollständig die Kontrolle über sich verloren hat und mit sei-nem Pickup Silks Wagen attackiert und von der Straße drängt. Weder Silk noch sei-ne Beifahrerin Faunia überleben den Sturz in einen Fluss. In der Stadt verbreitet sich das Gerücht, der Unfall sei durch einen Oralverkehr während der Fahrt ausge-löst worden, während die Polizei schlicht von überhöhter Geschwindigkeit ausgeht. Nur Zuckerman ahnt, dass ein Dritter am Geschehen beteiligt gewesen sein muss, doch seine Forderung nach Aufklärung stößt bei Silks Kindern auf taube Ohren. Diese wollen ihren Vater postum rehabilitieren, indem sie seine unstandesgemäße letzte Liebe totschweigen.

Erst nach ihrem Tod deckt Zuckerman in beider Leben lang gehütete Geheimnisse auf. Faunia Farley führte Tagebuch und gab sich nur ihrer sozialen Stellung wegen als Analphabetin aus. Coleman Silk hingegen wurde als besonders hellhäutiger Schwarzer geboren, der die Identität eines weißen Juden annahm, nachdem er sich bei der Navy als Weißer eingeschrieben hatte. Seiner ersten Freundin Steena Pals-son offenbarte er noch seine wahre Herkunft, was diese überforderte und zur Tren-nung führte. Bei seiner Ehefrau Iris wagte er die Offenheit nicht mehr, und nach-dem er sie die gesamte Ehe hindurch getäuscht hatte, glaubte er am Ende gar, sie nur wegen ihres Lockenhaars und der Tarnung, die dieses für das Aussehen der gemeinsamen Kinder bot, geheiratet zu haben. Um seine Version des amerikanischen Traums, der Freiheit und Unabhängigkeit von seiner Herkunft, zu verwirklichen, ging Silk soweit, seine Mutter tief zu kränken und die eigene Fami-lie zu verleugnen, zu der er mit Ausnahme seiner Schwester keinerlei Kontakt mehr hatte.

Auf Silks Beerdigung lernt Zuckerman dessen Schwester Ernestine kennen, von der er die Lebensgeschichte des Toten erfährt, die er am Ende doch zu einem Buch verarbeitet. Er folgt ihrer Einladung nach East Orange in New Jersey, wo Silk in unmittelbarer Nachbarschaft seiner eigenen Heimatstadt Newark aufwuchs. Auf der Fahrt erkennt er ausgerechnet Lester Farleys Pickup am Straßenrand. Zuckerman steigt aus und findet den Vietnamveteranen auf einem zugefrorenen See beim Eisfischen. Im Gespräch beider wird klar, dass Zuckerman weiß, dass Farley Silk umgebracht hat, und dass Farley dieses weiß, aber auch Namen und Wohnort seines Gegenübers kennt, wie er mit gezücktem Eisbohrer zu verstehen gibt. Hastig zieht sich der Schriftsteller von Silks Mörder zurück. Ihm bleibt die Gewissheit, dass er nicht mehr in der Gegend wird leben können, sobald sein Buch erschienen sein wird.

Die Teilnehmer des Literaturgesprächskreises treffen sich ca. alle sechs bis sieben Wochen, um sich über das gelesene Werk auszutauschen, die Vorschläge stam-men aus dem Kreis der Teilnehmer. Jeder, der für Literatur aufgeschlossen ist, ist als Bereicherung stets willkommen. Allen Interessierten steht die Bücherei Nieder-brechen am Sonntag von 9.30 bis 12.00 Uhr, am Mittwoch von 18.30 bis 21.00 Uhr und am Donnerstag von 15.30 bis 16.30 Uhr offen.


Textquelle: Jürgen Schühler / Bücherei Niederbrechen

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